Irina Vanat – Porträt einer Vorreiterin für den ukrainischen Frauenfußball

Unscheinbar steht Irina Vanat auf der Vulitzja Teatralna und wirkt so unauffällig, man könnte sie glatt übersehen. Man sieht ihr nicht an, dass sie eine mehrfache sowjetische Fußballmeisterin und Nationalspielerin und eine Vorreiterin für den Frauenfußball in der Ukraine ist.

Eine erfolgreiche Frau
Seit ihrer Kindheit spielt Irina bereits Fußball, zunächst noch mit den Jungen in der Schule. Bis sie zur Frauenmannschaft Niva Baryschiwka (ca. 40 km östlich von Kiew) gelangte, mit der sie 1989 mit gerade einmal 18 Jahren zum ersten Mal Meisterin der Sowjetunion wurde – damals existierte allerdings keine offiziellen Profiliga.

Die Entwicklung des Frauenfußballs begann in der Sowjetunion in den 60er Jahren vor allem in den Kolchosen. Sie gründeten eigene Mannschaften und ließen diese dann gegeneinander antreten. Die Strukturen des Frauenfußballs zu Sowjetzeiten waren gut entwickelt und er genoss eine ansehnliche Stellung in der Gesellschaft. Das erste gesamtsowjetische Turnier wurde trotzdem erst 1987 in Chişinău ausgespielt, der erste offizielle Frauenfußballverband der UdSSR erst 1989 gegründet und erst dann eine offizielle Meisterschaft ausgespielt.

Eine mutige Frau
1991 war das alles schon wieder vorbei. Der Zusammenbruch der Sowjetunion führte zu umfassenden Veränderungen in der Gesellschaft, die auch im Fußball zu spüren waren. Die Strukturen, die zuvor über lange Zeit aufgebaut worden waren, verschwanden fast völlig. Bei all den Unsicherheiten und Notsituationen interessierte sich niemand mehr für Frauenfußball. Auch für Irina kamen schwere Zeiten. Zum Ende der 90er ging sie daher für zweieinhalb Jahre nach Italien. „Italien habe ich mir immer als Land des Fußballs vorgestellt und es war mein Traum dorthin zu gehen und in diesem Land zu spielen.“ Aber der Traum geriet mehr und mehr zum Alptraum – anstatt Fußball zu spielen, musste Irina in Nachtclubs putzen, um über die Runden zu kommen.

Nach ihrem unbefriedigenden Aufenthalt in Italien kehrte sie in die Ukraine, nach Lviv zurück, um in einer Sportschule als Trainerin zu arbeiten. Während ihrer einjährigen Trainerzeit erlebte Irina ganz persönlich die massiven Schwierigkeiten, die im ukrainischen Frauenfußball vorherrschten. Desillusioniert zog sie sich aus dem Fußballbereich zurück: „Nach dieser Arbeit habe ich mich vom Fußball verabschiedet, weil alles so perspektivlos geworden war.“

Doch allzu lange hielt sie es ohne ihre Lieblingsbeschäftigung nicht aus. Nach dem Besuch eines Spiels mit Freunden kam ihr die Einsicht, dass sie etwas am ukrainischen Frauenfußball verändern möchte. Irinas Verzweiflung über die aktuellen Zustände wich neuen Visionen und Ideen. Für sie, so betont sie im Gespräch, begann damit ihr „zweites Leben“.

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Eine engagierte Frau
Irina begann sich aktiv für den Frauenfußball in der Ukraine und insbesondere in der Oblast Lviv einzusetzen. Anfang 2012 gründete sie hier die Lemberger Assoziation des Frauenfußballs, deren erste Präsidentin sie ist. Mit ihrer Organisation will Irina die Rechte der Frauenfußballerinnen schützen und sie und die Vereine mit Frauenmannschaften unterstützen. „Die Entwicklung läuft nicht nach europäischem Vorbild“, sagt sie, „die Finanzierung und gewissermaßen bestimmte Staatsorgane verhindern eine normale Entwicklung“. Finanzierung ist ein Stichwort, das Irina wütend macht, denn eine finanzielle Unterstützung der Vereine in der Oblast Lviv durch den offiziellen nationalen Fußballverband besteht nicht. Trainiert werden kann meist nur dank eigener Initiative und privater Finanzmittel und selbst beschaffter Trainingsausrüstungen (siehe Artikel „Papa ich will Fußball spielen“). Allgemein wird nicht professionell gearbeitet. „Das Komitee für den Frauenfußball beim nationalen Verband besteht nur auf dem Papier“, erzählt uns Irina. So hat Irina ihr Büro auch nicht in der regionalen Zentrale des ukrainischen Verbandes, sondern im Geschäftszentrum ihres Cousins. Ein hochrangiger Offizieller des regionalen Verbandes hat ihr gegenüber in einem persönlichen Gespräch sogar ganz offen zugegeben, dass man in der Oblast Lviv keinen Frauenfußball bräuchte.

Eine vernetzte Frau
Die UEFA spielt für den Frauenfußball in der Ukraine daher eine große Rolle: „Ohne die UEFA, könnte man sagen, gäbe es überhaupt keinen Frauenfußball in der Ukraine“, meint Irina. Die UEFA unterstützt die Vereine auf verschiedene Weise, sie hat auch bei der Gründung der Assoziation des Frauenfußballs der Oblast Lviv geholfen. Irinas russische Freundin Nadja Uljanowskaja, die sie Anfang der 90er bei einem Empfang ihrer damaligen Mannschaft Niva Baryschiwka in Moskau kennenlernte und mit der sie später sogar zusammen in einem Team spielte, hatte mittlerweile einen Job bei der UEFA und konnte sich so für Irinas Idee einsetzen. Irina erklärt: „Ich wollte niemanden volljammern und anbetteln, aber es gab keinen anderen Ausweg. Je länger alles so bleibt, desto schlimmer wird es für die Ukraine.“

Die EURO 2012 hat für Irina und ihre neue Organisation eine ausgezeichnete und willkommene Möglichkeit geboten, die Aufmerksamkeit auch auf den Frauenfußball in der Ukraine und auf die Probleme in der Oblast Lviv zu lenken. Vor und während der EM wurden von Irina deswegen Pressekonferenzen und Podiumsdiskussionen organisiert. „Das Bild vom Frauenfußball wird sich verändern“, prophezeit sie uns. Ein erster Erfolg: Praktisch mit der Europameisterschaft wurde eine neue nationale Frauenfußballliga mit 16 Mannschaften gegründet. Eine Mannschaft aus Lviv nimmt allerdings noch nicht daran teil. Dies zu ändern ist ein weiteres Ziel von Irina.

Eine visionäre Frau
Die Aufgabe, die sie damit begonnen hat, ist keine einfache und ihre Ziele sind hoch. Doch der Durchsetzungswille, den sie in ihrem Leben und im Umgang mit Frauenfußball trotz vieler Rückschläge gezeigt hat, ist eine wichtige Voraussetzung, um die aktuelle Situation weiter zu verbessern und um dem Frauenfußball in der Ukraine bessere Entwicklungsmöglichkeiten bieten zu können. Er soll sich irgendwann dem europäischen Niveau angleichen können, das ist das erklärte Ziel von Irina und ihrer Organisation.

Während einer Führung durch die noch nicht ganz fertiggestellten Arena Lviv, steht Irina vor dem Rasen des Spielfeldes und schaut sich die leeren Sitzränge an, wo bald schon die deutschen Fans ihr Team in der Vorrunde unterstützen sollten: „Irgendwann will ich hier auch spielen“, spricht sie leise vor sich her, „oder die Frauenfußball-Europameisterschaft nach Lviv holen.“ – Warum nicht?

Von Peter und Stephan,
großer Dank an Artem für die viele Übersetzungsarbeit

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